6 Fragen an 6 Poeten

 

 

Interview mit Johanna Sailer

 

Frage 1: Wann hast du deinen ersten vorzeigbaren Text geschrieben?

Johanna Sailer:Vorzeigbar ist relativ. Meine Texte habe ich so mit zehn bis elf Jahren vorgezeigt. Zum ersten Text wurde ich ein bisschen gedrängt von meiner Mutter. Ich sollte eine Kurzgeschichte schreiben für meinen Vater zum Geburtstag, und sie sollte positiv ausfallen. Es ging dann um Tiere und einen Punker. Dann gab es noch einige Gedichte, die dazu führten, dass einige Verwandte bei Tisch zu weinen anfingen, weil sie doch recht misanthropisch waren für mein Alter. Ja, so fing das Ganze an.

 

Frage 2: Was bedeutet für dich das Schreiben?

Johanna Sailer: Schreiben bedeutet ein sich Herantasten an die Wahrheit. Der Wahrnehmung ein bisschen auf die Schliche zu kommen, sich selbst auf die Schliche zu kommen und den Menschen, die mich umgeben. Also im Prinzip: Erkenntnis, was auch Selbsterkenntnis miteinschließt.

 

Frage 3: Im Jahr 2050, gibt es da noch Menschen, die schreiben? Wie verändert sich die Schriftkultur?

Johanna Sailer: Ich denke, dass es eine Veränderung der Schriftkultur geben wird. Dass es eine Veränderung der Leserschaft geben wird und auch eine Veränderung im Schreiben. Ich kann mir vorstellen, dass immer mehr Texte computergeneriert werden durch Programme. Ich kann mir vorstellen, dass das E-Book immer mehr Bedeutung erlangen wird. Und ich kann mir leider auch vorstellen, dass das Buch zwar nicht vom Aussterben bedroht wird, aber zumindest 2050 als nostalgischer Retro-Spleen gelten wird.

 

Frage 4: Was ist für dich das Besondere an der Literatur? Im Vergleich zu anderen Künsten?

Johanna Sailer: Die Literatur ist gebunden an Sprache und damit auch an Denken. Das könnte erst mal erscheinen wie eine Beschränkung in der Freiheit. Ich glaube aber, dass sich durch diesen reflexiven Moment eben auch viel mehr Möglichkeiten auftun und größere Welten entstehen können als beispielsweise im Film und im Theater. Ich glaube, dass diese Medien mehr vorgeben, und das Besondere an Literatur, wenn es Literatur genannt werden darf, ist, dass sie dem Leser viel Spielraum gibt.

 

Frage 5: Schreiben kommt vom Lesen. Welches Buch hat dich zuletzt inspiriert?

Johanna Sailer: Ich habe als letztes Astronauten von Sandra Gugić gelesen. Das hat mich tatsächlich auch inspiriert, und ich habe es gelesen, weil die Thematik für mein eigenes Schreibprojekt interessant war. Sandra Gugić hat probiert, durch mehrere Perspektiven ein relativ belangloses Unternehmen zu beleuchten, und ich finde, das ist ihr auch gut gelungen!

 

Frage 6: Was kommt für dich nach dem Poetencamp?

Johanna Sailer: Ich hoffe, irgendwann mit dem Schreiben Geld verdienen zu können. Es wird auf jeden Fall mein Lebensmittelpunkt werden. In naher Zukunft werde ich erst mal mein Philosophiestudium absolvieren und noch einmal versuchen, im Literaturinstitut in Leipzig angenommen zu werden, weil ich gemerkt habe, auch im Poetencamp, wie wichtig der Austausch mit anderen Autoren ist.

 

 

 

 

Gedichte von Johanna Sailer

 

 

blaue stunde

 

stunden strecken sich

liegen minuten

blättern sekunden

lecken der woche

den tag

 

wir blättern uns aus

ästeln uns

ein bett in höhlen

am ufer heulen

möwen ins blau

 

himmel hebt sich

auf das wir sehen

lichter in bäumen

gesänge sich auf

in den schlaf

 

 

Strandhunde

 

die leine ist gelb, was wichtig ist

denn der hund ist klein und hört nix!

verkündet das geschirr, hör nix!

sieht nix, sagt nix, denk ich

ist aus porzellan

 

das fell ist grau und filzig

der buckel zählt schon 24 jahre

verkündet das herrchen, 24!

das rosa ausgeblichene halsband

hält ihn am leben fest, denk ich

 

dackelbeine verschwinden im sand

lassen das hundeverbotsschild hinter sich

vor sich den besitzer gestikulierend stehen

was guckt ihr so blöd?, fragt der hund

denk ich, jedem sein recht auf strand

 

 

 

der schuh

 

ein zerfetzter schuh am strand

hat das maul aufgerissen

und stutzt

soll man dich mitnehmen?

und dann?

bist leicht und doch untragbar

 

ein zerfetzter schuh am strand

bettelt die touristen an

man gibt ihm eine münze

ratlos

er spuckt sie ins meer

und fliegt fort

 

 

 

Ich rauche dich Kette

 

Ich rauche dich Kette,

atme Perlen aus deiner Brust

und schmücke mich festlich aus, damit.

 

Ich trinke dich in einem Zug,

gehe auf Reisen

und finde Freunde, damit.

 

Ich esse deine Haare,

forme sie zu einem Wollknäuel

und stricke mir einen Pullover, damit.

 

Damit ich schön bin,

damit ich in Gesellschaft bin,

damit ich nicht mehr friere.

 

Ich tauche in deinem Augensee,

entdecke eine unbekannte Spezies

und werde berühmt, damit.

 

Ich fahre in deine Mundhöhle,

decke mich mit deiner Zunge zu

und finde ein Bett, damit.

 

Ich laufe durch deine Ohrmuschel,

spiele auf deinem Trommelfell

und finde meine Sprache, damit.

 

Damit ich reich bin,

damit ich zu Hause bin,

damit ich nicht mehr schweige.

 

 

 

Die obigen Vier Gedichte sind Eigentum von Johanna Sailer. Alle sind im Jahr 2015 entstanden.