6 Fragen an 6 Poeten
Interview mit Carlo Ihde
Frage 1: Wann hast du deinen ersten vorzeigbaren Text geschrieben?
Carlo Ihde: „Was ich mit 15 geschrieben habe, hielt ich teilweise schon für vorzeigbar. Jedenfalls hat das alles für mich immer Sinn gemacht. Ich habe von Anfang an vor mir selbst vorzeigbare Texte geschrieben.“
Frage 2: Was bedeutet für dich das Schreiben?
Carlo Ihde: „Na ja, es ist ein bisschen so wie Essen und Schlafen, Teil der ganz praktischen, alltäglichen Lebensführung geworden. Es ist ganz einfach ein geistiges und auch handwerkliches Grundbedürfnis für mich.“
Frage 3: Im Jahr 2050, gibt es da noch Menschen, die schreiben? Wie verändert sich die Schriftkultur?
Carlo Ihde: „Alle sagen immer, dass die Schriftkultur ein bisschen herausgefordert ist, dadurch dass wir nur die immer kürzer werdenden Texte wirklich rezipieren. Gerade im Internet: Die 140-Zeichen Kultur der Twitterer … Ich glaube, dass es wieder Gegenbewegungen geben wird. Die Leute werden sich auf das Wesentliche besinnen und auf das Bedeutsame. Lange Erzähltexte haben nichts an Faszination verloren. Ich denke, das bleibt so.“
Frage 4: Was ist für dich das Besondere an der Literatur? Im Vergleich zu anderen Künsten?
Carlo Ihde: „Literatur ist isolierter. In der Regel, wenn man nicht gerade beim Poetencamp ist, schreibt man stumm vor sich hin und kann die Texte liegen lassen, sie reifen lassen. Ich mag einfach das Isolierte und ein bisschen Selbstversunkene daran.“
Frage 5: Schreiben kommt vom Lesen. Welches Buch hat dich zuletzt inspiriert?
Carlo Ihde: „Ich weiß nicht, ob einzelne, spezielle Bücher mich inspirieren zum Schreiben. Also das Lesen, gleich welcher Bücher, macht einen mit gewissen Tonfällen und Stilen vertraut. Inspirierend ist es dann, wenn man selber Lust bekommt, loszufabulieren, und ich denke, das kann eigentlich jedes Buch bieten.“
Frage 6: Was kommt für dich nach dem Poetencamp?
Carlo Ihde: „Ich werde mich traurig und weinend in mein kleines Kämmerlein zurückziehen und nie wieder schreiben können. – Nee! Ich habe das Glück, erst einmal den Sommer genießen zu können, nach allen Regeln der Kunst. Und ab September beginnt dann für mich, der Ernst des Lebens.“
Gedichte von Carlo Ihde
Einmal Hiddensee to go
Hiddensee to komm
auch to geh wieder
nur selten to bleib
- nur einmal auf einem sturmumtosten
beginsterten Eiland,
wo eben noch im Dünental
in die Stille sich das Rauschen mischte
und sich ein Sonnenhoch barsch
an ein Schattentief schnitt -
Kreuzottern, Brandschutz und Füchse
- nur einmal unter Putnam’schen Ulmen
Äpfel und Birnen vergleichen -
Das Tagewerk insularer Ameisen besteht
im Ziehen von Handkarren
Niemand höhlt unter Leuchttürmen gerne
profunde Daseinsgewissheiten aus
Es herbergsmuttert innerlich bei
unachtsam fallenden Kippen
Kaffee als Lösung von Halbtagsproblemen,
die man an strandnahen Standorten gerne verspielt
Einmal Hiddensee to go, bitte
Gepflegte Gastlichkeit
oder auch “Überflüssige Kulinaria”
In waberndem Rauch unter deckendem Reet
zählt die Ur-Insulanerin einer
osteuropäisch wurzelnden Saisonpommerin die
eklektischen Frisch-Fisch-zu-Tisch-bring-Regeln auf.
Das geübtere Auge erkennt einen Dorsch
an Tisch 17, wenn es ihn
schweifenden Blickes einfängt.
Man nimmt hier auch Aal auf den Dreizack
und unzackige Mitarbeiter kühl auf die Schippe.
„Alles in Allem“, das meint nicht „all inclusive“,
sondern die alltagspragmatischen Aphorismen,
dass „Alles in Alle“ zu stopfen gut
fürs Geschäft ist, und kein Konsumgut
so viel Sanddorn enthält wie
Sanddorn.
Unter klimagereizter Zeit und rauchgebeiztem
Tafelholz spannen sich ausrangierte Reusen,
bewohnt von Plaste-Lachs-Scharen.
Wahrscheinlich ist der Konnex schwach zwischen
Brutalität der Gastfreundschaft
und dem Grad ihrer Besingbarkeit.
Bonbon-Tage
Rückkehr auf Normalnull
von einer höhenunterschiedslosen Auszeit
Text im Gepäck:
den Bach Heruntergegangenes,
nichts Auserlesenes dabei,
viel Unauserzähltes schon,
Einiges roh, unreif, zweifelhaften Werts,
bestimmt unewig,
unausstehlich Andeutungsreiches,
bisschen unverdauter
Wortwertschätzungsbrei, der sein
Sinnvernichtungsattitüden
nicht mehr negiert.
Wer sieht, der spricht eben nicht.
(Noch ein paar Schnipsel schreiben.)
Ich sollte eine neue Platte auflegen.
Hinter Stralsund beginnt das
Misstrauen an meinen Tönen.
Wünsche mich an diesen Ort,
wo man vermessene Sprecher
nicht mehr gewähren lässt.
Und:
Selbst das Wenige, das ich sicher habe,
wird hoffentlich nie genug sein
um es zum Fraß vorzuwerfen.
Die obigen drei Gedichte sind Eigentum von Carlo Ihde. Alle sind 2015 entstanden.