Programmarchiv Literaturhaus Rostock

08. November 2016 | 19:00 Adriana Altaras: »Doitscha – eine jüdische Mutter packt aus« // Klezmer-Konzert

Lesung & Gespräch im Rahmen der Jüdischen Kulturtage 2016 // Im Anschluss (21 Uhr): Klezmer-Konzert mit Dobranotch[mehr]

Was für ein Abend! Und was für ein fulminanter Abschluss der ersten Jüdischen Kulturtage in Rostock!

Aber von vorn: Nach einer Begrüßung durch Juri Rosov, den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, stellte die Autorin, Schauspielerin und Regisseurin Adriana Altaras einige Kapitel aus ihrem Buch »Doitscha« vor. Der »Doitscha«, das ist ihr Mann, und der Titel war ein wenig rühmlicher Name des gemeinsamen Sohnes für den Vater. Man war also mittendrin in einer deutsch-jüdischen Familie mit den dazugehörigen, nur irgendwie eine Nummer größeren Familienkonflikten. Aber so humorvoll hat man lange nicht über das Chaos des Zusammenlebens geschrieben und gesprochen - und auch nicht so positiv und Gemeinschaft stiftend, ohne Unterschiede zu verdecken.

Adriana Altaras, 1960 in Zagreb geboren und reichlich mit dem ausgestattet, was man Migrationserfahrung nennt, wagte sich auch ins Minenfeld der Gedenkkultur. Hochkomisch und zugleich sehr bewegend trug sie die Rede vor, die sie am 9. November 2011 in der Paulskirche gehalten hatte - es ging um das ritualisierte Shoah-Gedenken, das ihre Eltern als Zeitzeugen stets sehr mitnahm und das eifrig betrieben wird, um dann alljährlich am 10.11. zu enden. Mit ihrem kritischen Plädoyer für einen anderen Umgang mit der Erinnerung machte sich Adriana Altaras im Zentralrat der Juden nicht nur Freunde - aber jemand wie sie weiß, dass es nicht darum geht, es allen recht zu machen.

Worum es ihr geht: ein Gedenken, das fühlbar wird, ohne Routine zu sein. Dazu erzählte sie auch einen Witz von einem, der ans Kreuz genagelt wurde - ein Bekannter kommt vorbei und fragt, ob es nicht wehtue. Ja, sagt der Gekreuzigte, aber nur, wenn ich lache. Und genauso ist das bei den fast immer auch sehr privaten Texten von Adriana Altaras: Komik und die Trauer liegen nah beieinander.

Auch um Religion und jüdische Identität kreiste das Gespräch, das nicht nur auf dem Podium, sondern auch zwischen Autorin und Publikum geführt wurde. Die gut 60 Gäste im Saal lachten während der Lesung viel und waren nicht nur höchst interessiert, sondern - so scheint es uns - auch rundweg begeistert von der Lesung. Einige fragten wegen des gekonnten Vortrags sogar, ob es von der Autorin eingelesene Hörbücher ihrer Texte gebe - die gibt es wohl, doch hatten wir sie leider nicht da. Fragen Sie in der Buchhandlung Ihres Vertrauens nach!

Wer nach der Lesung noch nicht müde war oder sich noch nicht in den Wahl-Fernsehabend stürzen wollte, blieb noch zum Konzert der St. Petersburger Klezmer-Band Dobranotch. Leider haben wir auch hier nur Fotos und keine Tonaufnahmen, aber vielleicht vermitteln sie ja einen Eindruck von der tollen Stimmung im Saal?

04. November 2016 | 20:00 Fremdsein. Peter Weiss. Nah und Fern

Eine szenische Lesung nach den Prosaschriften von Peter Weiss // Premiere[mehr]

Fremdsein – das scheint heute eine alltägliche Erfahrung; allerdings nehmen wir oft nur den anderen als fremd wahr. Und Fremdsein heißt nicht nur Fremdsein an einem anderen Ort, sondern auch in seiner Familie, in seiner Sexualität, seinem Glauben … Wie sich „Fremdsein“ am eigenen Leib anfühlt, wie es ist, selbst „woanders“ zu sein, das erkundet diese gemeinsame Veranstaltung von Volkstheater Rostock, Freigeistern und Literaturhaus Rostock auf der Basis von Weiss‘ Texten.

Peter Weiss hat sich in seinem Werken immer wieder mit dem eigenen Fremdsein auseinander­gesetzt. Die szenische Lesung vereinigt Auszüge aus „Von Insel zu Insel“, „Die Besiegten“, „Der Fremde“, „Abschied von den Eltern“, „Fluchtpunkt“ und „Meine Ortschaft“.

Der Regisseur Christof Lange hat im Auftrag des Literaturhauses und des Volkstheaters die Texte zusammengestellt und arrangiert, die die Schauspielerinnen Sandra-Uma Schmitz (Volkstheater), Luise Böse, Marie May und Katharina Rose (Freie Theatergruppe Freigeister) szenisch lesen werden.

Eintritt: 10,- € / 5,- € erm.
Vvk. im Volkstheater

Veranstaltungsort: Volkstheater, Doberaner Straße 134/135 (Ateliertheater)

Zweite Vorstellung am 18.11.2016 im Literaturhaus Rostock

28. Oktober 2016 | 20:00 Akos Doma: „Der Weg der Wünsche“

Lesung & Gespräch im Rahmen der Kempowski-Tage 2016 // Moderation: Ulrika Rinke (Literaturhaus Rostock)[mehr]

Wie viel staatliche Drangsal ist zu viel? Liegen hinter der Grenze die Freiheit und das bessere, aufrechte Leben? Was geht unterwegs, im Leben der Betroffenen verloren?

Ungarn, Ende der 70er Jahre: Für Teréz und Károly ist das Leben in der sozialistischen Heimat unerträglich geworden. Niemand darf von ihren Fluchtplänen erfahren – schon gar nicht ihre Kinder Misi und Borbála, die einem Urlaub am Plattensee entgegenfiebern und sich bald wundern müssen, als der geliebte See am Fenster vorbeifliegt.

Mit viel Wagemut schaffen es die vier über die Grenze nach Italien. Doch dort stellt sie der sich endlos dehnende Sommer im Auffanglager auf eine Probe, die keinen von ihnen unberührt lässt. Auch längst Vergangenes bricht auf, und die Familie droht zu zerbrechen, noch bevor sie ihr Ziel – Deutschland – erreicht.

Mit großer sprachlicher Kraft zeigt dieser Roman, was Heimatlosigkeit und Ungewissheit im Menschen anrichten können – und wie sie ihn verändern.

Akos Doma, geboren 1963 in Budapest, ist Autor und Übersetzer. Als Jugendlicher emigrierte er mit seiner Familie über Italien nach Deutschland. Er hat unter anderem Werke von Sándor Márai und Péter Nádas ins Deutsche übertragen. Für seine schriftstellerische Arbeit erhielt er zahlreiche Preise und Stipendien. „Der Weg der Wünsche“ ist sein dritter Roman und wurde für den Deutschen Buchpreis 2016 nominiert.

Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Kempowski-Archiv Rostock im Rahmen der Kempowski-Tage 2016

Ort: Literaturhaus Rostock, Doberaner Straße 21
Eintritt: 5,- € / 3,- € ermäßigt

(Ermäßigung für Schüler/innen, Studierende, Inhaber/innen des Warnow-Passes, Abonnent/innen des BUECHER-Magazins und Mitglieder im Literaturhaus-Verein)

26. Oktober 2016 | 20:00 Master of Slam

Moderation: Der Landesbeauftragte für Liebe und Harmonie Mecklenburg-Vorpommern // Musik: Tobi Wolff[mehr]

Der »Master of Slam« geht in eine neue, seine dritte Runde, und es gibt gleich drei Preise! Das Publikum vergibt den Mastertitel und schickt den Gewinner für eine Woche in das internationale Künstlerhaus Lukas, zusammen mit dem großartigen Dalibor Markovic, der zuletzt mit dem Programm »Boombastic Lyrikwunderland« in Rostock war.

Die Auftritte der Slammer werden gefilmt und anschließend bei Facebook online gestellt. Wer die meisten Likes bekommt, kann 2017 mit drei Freunden auf das Pangea Festival fahren und hat dort noch einen Auftritt. Die Jury des Abends wählt ihren eigenen Nachwuchsgewinner. Ihr oder ihm ist ein Auftritt bei »PROSANOVA - die Literaturshow« sicher.  

Alle Informationen unter: www.master-of-slam-2016.de

Eintritt frei
Einlass ab 19 Uhr
Ort: Literaturhaus Rostock, Doberaner Straße 21 (Studio HdF)

25. Oktober 2016 | 20:00 LiteraTour Nord - Olga Martynova: „Der Engelherd“

Lesung & Gespräch // Moderation: Prof. Dr. Lutz Hagestedt (Universität Rostock) // Ort: andere buchhandlung (Wismarsche Str. 6/7)[mehr]

Gar nicht so leicht zu fassen: Mit „Der Engelherd“ von Olga Martynova begann die LiteraTour Nord 2016/17. Die Handlung des Romans spielt auf zwei Ebenen, und mit bloßer Nacherzählung kommt man dem Text nicht bei.

Die Autorin begann deshalb nach kurzer Erläuterung der Hintergründe (nicht des Romans, sondern der LiteraTour Nord und des Abstimmungsverfahrens) durch Manfred Keiper, verschiedene kurze Stellen vorzulesen und diese Schlaglichter zu kommentieren - so ergab sich ein Einstieg durch viele kleine Türen in einen Text, der um große, in diesem Fall auch traumatisch besetzte Themenfelder kreist.

Erstaunlich womöglich für Teile des Publikums, das sich in der anderen buchhandlung eingefunden hatte, auf welche Weise zum Beispiel von Kindstod (durch „Euthanasie“) erzählt wird - die Federn, die auf dem Umschlag des Romans abgebildet sind, deuten diese Leichtigkeit an, und die Autorin kommentierte ihren Umgang mit dem Traurigen und Grausamen auch: Es sei leicht, mit schrecklichen Schilderungen starke Effekte beim Leser zu erzeugen, doch das möge sie nicht (statt der Worte erklärte sie diese Ablehnung mit einer Geste). Und außerdem sei dies auch „keine Kunst“!

Im Publikum: viele GermanistikstudentInnen der Universität Rostock, die den Roman zuvor im Seminar gelesen hatten und die Handlung und den Aufbau des Romans klarer vor Augen hatten - doch auch den anderen gelang der Einstieg, wie sich auch in den anschließenden Fragen zeigte.

Prof. Lutz Hagestedt moderierte aufmerksam und humorvoll, reizte das Publikum wiederholt mit seinen Kommentaren zum Romanpersonal zum Lachen und brachte interessante Assoziationen zu anderen Autoren (überraschenderweise auch zum diesjährigen Buchpreisträger und seinem „Schundroman“) ins Gespräch ein.

Nachzuhören sind Teile von Lesung und Gespräch voraussichtlich am 6.11. oder 13.11. ab 18 Uhr auf LOHRO 90,2 MHz in der Literatursendung - wir haben Ralph Kirsten mit dem Aufnahmegerät gesichtet!

Nächster LiteraTour-Nord-Termin:
Dienstag, 15. November 2016, 20 Uhr im Literaturhaus Rostock
Teresa Präauer liest aus ihrem fulminant-verspielten Menschenaffenroman „Oh Schimmi“

18. Oktober 2016 | 20:00 ARTE-Filmpremiere: „Fallada – Im Rausch des Schreibens“

Doku-Drama von Christoph Weinert, ARTE/NDR 2016, 52 Min. Filmvorführung & Gespräch mit Fallada-Expertin Dr. Sabine Koburger[mehr]

„Kleiner Mann, was nun?“- Kein anderer Schriftsteller beschrieb die Situation und Gemütswelt der Menschen in den frühen zwanziger Jahren mit solch einer Präzision wie Hans Fallada. Als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern lag, verfasste der Autor seinen letzten Roman. Fast siebzig Jahre später, als das Buch erstmals in englischer Übersetzung erscheint, avanciert „Jeder stirbt für sich allein“ zum internationalen Bestseller, die Verfilmung kommt im November in die Kinos.  

Dieses Doku-Drama, das wir vor der Erstausstrahlung auf ARTE zeigen, befasst sich mit dem vielschichtigen Charakter und der inneren Zerrissenheit des Romanautors. Es liefert einen tiefen Einblick in das Leben des Trinkers, Morphinisten und mehrfach unter Mordanklage stehenden Schriftstellers und zeigt auch die Weltwirtschaftskrise, den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg aus der Perspektive Falladas. Interviews mit Falladas Sohn Achim Ditzen und der Fallada-Biographin Jenny Williams runden den Film ab.  

Dr. phil. Sabine Koburger studierte Germanistik und Anglistik in Jena. Sie hat zahlreiche Aufsätze und eine wissenschaftliche Monographie zu Fallada publiziert. Seit Januar 2015 ist sie Chefredakteurin der Halbjahresschrift der Hans-Fallada-Gesellschaft Salatgarten.

Sendetermin auf ARTE: 23. November 2016  

Eintritt frei
Eine Kooperation mit dem Sender ARTE, Kulturpartner des Netzwerks der Literaturhäuser

Ort: Literaturhaus Rostock, Doberaner Straße 21 (Möckelsaal)

17. Oktober 2016 | 20:00 Shida Bazyar: „Nachts ist es leise in Teheran“

Lesung & Gespräch Moderation: Ulrika Rinke (Literaturhaus Rostock) In Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung M-V[mehr]

Am 17.10.16 war Shida Bazyar im Literaturhaus zu Gast. In ihrem Debütroman „Nachts ist es leise in Teheran“ kommt mit einem Abstand von zehn Jahren jeweils ein Familienmitglied zu Wort und erzählt uns seine Sicht der Welt – von den kleinen Alltagssorgen bis hin zu gesellschaftlich-politischen Fragen.

Bazyar las aus jedem der vier Teile einen Ausschnitt vor und ließ uns an ganz unterschiedlichen Situationen teilhaben: 1979 ein junger Mann, der sich von der Revolution im Iran Aufschwung für den Sozialismus erhofft. Zehn Jahre später ist es seine Ehefrau, die über ihr Leben in Deutschland, über das Verhältnis zu den neuen deutschen Freunden und den veränderten Blick auf ihren Mann spricht.
1999 erzählt die älteste Tochter, wie sie den Iran, den sie als kleines Mädchen noch erlebt hat, über ein Jahrzehnt später als junge Frau wahrnimmt. Der mittlere Sohn nimmt uns 2009 mit in seine Lebenswelt und seine Gedanken über die grüne Revolution.

Hier sind zwei Generationen, zwei Länder und zwei Revolutionen im Blick. Durch ihre mehrdimensionale Erzählstruktur verleiht Shida Bazyar der dargestellten Lebenswelt eine extreme Authentizität. Dieselben Ereignisse werden von verschiedenen Personen nie gleich erlebt – hier kann sich jeder Leser und jede Leserin bei der Lektüre selbst in seinem Inneren „quasi weiterschreiben“, wie die anderen  Familienmitglieder Situationen erlebt haben, die sie selbst nicht erzählen.

Doch nicht nur der Textaufbau, sondern die Erzählweise an sich bestach durch eine Verwebung aus sprachlicher Einfachheit und Klarheit sowie komplexen Inhalten. Hier wurde ganz eindrücklich erlebbar, dass tiefe Inhalte nicht in komplizierte Schachtelsätze verpackt werden müssen.  

Spannend für das Publikum war auch zu hören, wie die Autorin ihren Stoff erarbeitet hat und „wie das so ist“, ein Buch zu schreiben. Shida Bayzar hat auch darüber gesprochen, wie sich Figur und Setting gegenseitig bedingen. Ein außergewöhnliches Lesungserlebnis mit einer jungen Autorin!  

Svenja Güttler (Studentin an der Universität Rostock & Praktikantin im Literaturhaus Rostock)