Programmarchiv Literaturhaus Rostock

27. April 2019 | 19:30 Rückblick Jenny Erpenbeck und Gregor Sander im Gespräch mit Simone Neteler und Marcel Lepper

Moderation: Katrin Möller - Funck[mehr]

Im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums in Rostock durften wir am 27.04 die Autor*innen Jenny Erpenbeck und Gregor Sander sowie Marcel Lepper (Leiter des Literaturarchivs an der Akademie der Künste in Berlin) und Simone Neteler (Lehrbeauftragte der Universität Hildesheim) begrüßen. Das Gespräch verlief unter dem Titel "Die Rolle des Archivs für Autorschaft und Autorentechnik". Moderiert wurde der Abend von Katrin Möller-Funck (Kempowski-Archiv-Rostock). Die Kempowski-Tage fanden am Wochenende von 26.04-28.04 zu Ehren des 90. Geburtstages des Schriftstellers statt. In Anlehnung an eines der berühmtesten Zitate Kempowskis „Ich möchte Archiv werden“, eröffnete  Möller- Funck das Gespräch mit der Frage danach, was Erpenbeck und Sander für gewöhnlich archivieren. Erpenbeck offenbarte, das inoffizielle Archiv ihrer Familie bei sich zu Hause zu haben. Hinterlassenschaften der Familie, von Tagebüchern und Manuskripten bis zu einem Dokument ihrer Großmutter. Die hat alle Stationen auf ihrem Weg ins sowjetische Lager festgehalten. Als weiteres Beispiel brachte sie den Nachlass ihres Großvaters an. Er war der Redakteur der Zeitschrift „Das Wort“ in Moskau und führte einen regen Briefwechsel mit Bertolt Brecht, den Erpenbeck heute verwahrt Darüber hinaus archiviert Erpenbeck mithilfe von Tonbandaufnahmen auch selbst. Zu dem Zeitpunkt der Aufnahmen war ihr die Bedeutung vieler aufgezeichneter Gespräche noch nicht klar. Heute ist sie froh, sie nicht nur gemacht,, sondern auch digitalisiert und transkribiert zu haben. Ihr Archiv ist „ein Fass ohne Boden“ und Erpenbeck gab zu, dass all diese Schätze sehr ungeordnet vorliegen. Sie selbst ist  die einzige die  tatsächlich einen Überblick hat.
Sander hingegen beichtete, sich leicht von Dingen trennen zu können und gerne auszumisten. Sobald er an einem neuen Projekt arbeitet, taucht er ganz ein und braucht nichts anderes. Er sammelt Fotos für eine Fotowand, Musik, Bücher (auch aus Bibliotheken) und Gesprächspartner, die sein Projekt ausmachen. Nach Abschluss eines Projektes ist davon nicht mehr viel übrig. Auch Tagebuch führt er nicht, was, wie er scherzhaft sagte, ja eigentlich zur Berufsbeschreibung eines Schriftstellers gehöre
Möller-Funcks nächste Frage richtete sich an Neteler. Sie wollte wissen, wie die Struktur und Betreuung eines Archives aussieht. Neteler, die noch persönlich mit Kempowski an dessen Archiv arbeitete, sagte, dass das Kempowski Archiv nicht „nur“ ein Schriftsteller-Archiv sei. Seit 1980 werden Tagebücher, Briefe, Fotographien und ähnliches an das Archiv geschickt. Dieses sogenannte Fremdmaterial hat Kempowski sehr interessiert und fasziniert. 2005 ist das Archiv in die Akademie der Künste in Berlin eigezogen, da die schiere Menge der über 500 laufenden Metern an Dokumenten und über 100 000 Fotographien mehr Platz und eine professionelle Instandhaltung? benötigte. Marcel Lepper fügte an, dass das Kempowski Archiv sehr durchdacht sei, da es von Anfang an als Archiv geplant war. Trotz der wunderbaren Organisation der Materialien, gibt es noch ein Paar tückische Stellen, die Lepper am faszinierendsten findet. Die Materialien, von denen man nicht weiß, woher und von wem sie kommen und wie sie ins Archiv gelangt sind, sind nicht immer entwickelbar, aber da liegt, laut Lepper, der Spaß. Das Kempowski Archiv erzählt dank des Fremdmaterials die Kultur- und Alltagsgeschichte mehrerer Jahrzehnte nach.
Erpenbecks und Sanders unterschiedliche Form des Archivierens entfachte eine interessante Diskussion zum Thema Erinnerungen. Denn eigene Erinnerungen sind immer fehlerhaft und beschönigen das Geschehene meist, und auch Tagebucheinträge erzählen meist nicht die ganze Wahrheit. Erpenbeck sagte, dass sie, aus Angst etwas zu vergessen archiviert. Sander ist der Meinung, dass man bei fehlender Erinnerung, Recherche als Stütze benutzten kann. Neteler brachte an, dass Kempowski sich auf verschiedene Weisen erinnert hat. Er nahm Gespräche mit Familie und Freunden auf, und baute darauf seine Romane auf. Im Echolot sammelte er Erinnerungen von anderen Menschen aus dem 2. Weltkrieg. Er gab ihnen genug Raum, um Erinnerungen zu sammeln und zu verarbeiten. Das Archiv wird zu einem riesigen Erinnerungskosmos. Lepper meinte, dass dem Archivieren immer ein Bruch vorausgeht, ob biographisch, durch den Tod einer Person, oder historisch, durch z.B. den Zerfall eines Staates. Ein Archiv ist nicht stabil und kann auch etwas entzünden.
Auf dieses spannende Gespräch folgte eine Lesung aus Erpenbecks Essayband »Kein Roman. Texte 1992 bis 2018« und aus Sanders im August erscheinendem Roman »Alles richtig gemacht«. Beide Texte beschäftigen sich auf verschiedene Art und Weise mit Erinnerungen und dem Prozess des Erinnerns.

Wir bedanken uns bei allen Beteiligten für diesen tollen Abend.   Eine gemeinsame Veranstaltung im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums der Universität Rostock in Zusammenarbeit mit dem Kempowski Archiv Rostock. Ein bürgerliches Haus e.V. Natalie Dielmann (Praktikantin im Literaturhaus Rostock)

27. April 2019 | 19:30 Jenny Erpenbeck und Gregor Sander im Gespräch mit Marcel Lepper und Simone Neteler

Moderation: Katrin Möller-Funck[mehr]

Im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums in Rostock durften wir am 27.04 die Autor*innen Jenny Erpenbeck und Gregor Sander sowie Marcel Lepper (Leiter des Literaturarchivs an der Akademie der Künste in Berlin) und Simone Neteler (Lehrbeauftragte der Universität Hildesheim) begrüßen. Das Gespräch verlief unter dem Titel "Die Rolle des Archivs für Autorschaft und Autorentechnik". Moderiert wurde der Abend von Katrin Möller-Funck (Kempowski-Archiv-Rostock). Die Kempowski-Tage fanden am Wochenende von 26.04-28.04 zu Ehren des 90. Geburtstages des Schriftstellers statt.

In Anlehnung an eines der berühmtesten Zitate Kempowskis „Ich möchte Archiv werden“, eröffnete  Möller- Funck das Gespräch mit der Frage danach, was Erpenbeck und Sander für gewöhnlich archivieren. Erpenbeck offenbarte, das inoffizielle Archiv ihrer Familie bei sich zu Hause zu haben. Hinterlassenschaften der Familie, von Tagebüchern und Manuskripten bis zu einem Dokument ihrer Großmutter. Die hat alle Stationen auf ihrem Weg ins sowjetische Lager festgehalten. Als weiteres Beispiel brachte sie den Nachlass ihres Großvaters an. Er war der Redakteur der Zeitschrift „Das Wort“ in Moskau und führte einen regen Briefwechsel mit Bertolt Brecht, den Erpenbeck heute verwahrt Darüber hinaus archiviert Erpenbeck mithilfe von Tonbandaufnahmen auch selbst. Zu dem Zeitpunkt der Aufnahmen war ihr die Bedeutung vieler aufgezeichneter Gespräche noch nicht klar. Heute ist sie froh, sie nicht nur gemacht,, sondern auch digitalisiert und transkribiert zu haben. Ihr Archiv ist „ein Fass ohne Boden“ und Erpenbeck gab zu, dass all diese Schätze sehr ungeordnet vorliegen. Sie selbst ist  die einzige die  tatsächlich einen Überblick hat.
Sander hingegen beichtete, sich leicht von Dingen trennen zu können und gerne auszumisten. Sobald er an einem neuen Projekt arbeitet, taucht er ganz ein und braucht nichts anderes. Er sammelt Fotos für eine Fotowand, Musik, Bücher (auch aus Bibliotheken) und Gesprächspartner, die sein Projekt ausmachen. Nach Abschluss eines Projektes ist davon nicht mehr viel übrig. Auch Tagebuch führt er nicht, was, wie er scherzhaft sagte, ja eigentlich zur Berufsbeschreibung eines Schriftstellers gehöre.


Möller-Funcks nächste Frage richtete sich an Neteler. Sie wollte wissen, wie die Struktur und Betreuung eines Archives aussieht. Neteler, die noch persönlich mit Kempowski an dessen Archiv arbeitete, sagte, dass das Kempowski Archiv nicht „nur“ ein Schriftsteller-Archiv sei. Seit 1980 werden Tagebücher, Briefe, Fotographien und ähnliches an das Archiv geschickt. Dieses sogenannte Fremdmaterial hat Kempowski sehr interessiert und fasziniert. 2005 ist das Archiv in die Akademie der Künste in Berlin eigezogen, da die schiere Menge der über 500 laufenden Metern an Dokumenten und über 100 000 Fotographien mehr Platz und eine professionelle Instandhaltung? benötigte. Marcel Lepper fügte an, dass das Kempowski Archiv sehr durchdacht sei, da es von Anfang an als Archiv geplant war. Trotz der wunderbaren Organisation der Materialien, gibt es noch ein Paar tückische Stellen, die Lepper am faszinierendsten findet. Die Materialien, von denen man nicht weiß, woher und von wem sie kommen und wie sie ins Archiv gelangt sind, sind nicht immer entwickelbar, aber da liegt, laut Lepper, der Spaß. Das Kempowski Archiv erzählt dank des Fremdmaterials die Kultur- und Alltagsgeschichte mehrerer Jahrzehnte nach.


Erpenbecks und Sanders unterschiedliche Form des Archivierens entfachte eine interessante Diskussion zum Thema Erinnerungen. Denn eigene Erinnerungen sind immer fehlerhaft und beschönigen das Geschehene meist, und auch Tagebucheinträge erzählen meist nicht die ganze Wahrheit. Erpenbeck sagte, dass sie, aus Angst etwas zu vergessen archiviert. Sander ist der Meinung, dass man bei fehlender Erinnerung, Recherche als Stütze benutzten kann. Neteler brachte an, dass Kempowski sich auf verschiedene Weisen erinnert hat. Er nahm Gespräche mit Familie und Freunden auf, und baute darauf seine Romane auf. Im Echolot sammelte er Erinnerungen von anderen Menschen aus dem 2. Weltkrieg. Er gab ihnen genug Raum, um Erinnerungen zu sammeln und zu verarbeiten. Das Archiv wird zu einem riesigen Erinnerungskosmos. Lepper meinte, dass dem Archivieren immer ein Bruch vorausgeht, ob biographisch, durch den Tod einer Person, oder historisch, durch z.B. den Zerfall eines Staates. Ein Archiv ist nicht stabil und kann auch etwas entzünden.


Auf dieses spannende Gespräch folgte eine Lesung aus Erpenbecks Essayband »Kein Roman. Texte 1992 bis 2018« und aus Sanders im August erscheinendem Roman »Alles richtig gemacht«. Beide Texte beschäftigen sich auf verschiedene Art und Weise mit Erinnerungen und dem Prozess des Erinnerns.

Wir bedanken uns bei Jenny Erpenbeck, Gregor Sander, Marcel Lepper, Simone Neteler und Katrin Möller-Funck für diesen spannenden Abend. Eine gemeinsame Veranstaltung im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums der Universität Rostock in Zusammenarbeit mit dem Kempowski Archiv Rostock. Ein bürgerliches Haus e.V. Natalie Dielmann (Praktikantin Literaturhaus Rostock)

27. April 2019 | 19:30 Jenny Erpenbeck und Gregor Sander im Gespräch mit Marcel Lepper und Simone Neteler

Öffentliche Abendveranstaltung innerhalb des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums | moderiert von Katrin Möller-Funck (Kempowski-Archiv-Rostock)[mehr]

Im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums in Rostock durften wir am 27.04 die Autor*innen Jenny Erpenbeck und Gregor Sander sowie Marcel Lepper (Leiter des Literaturarchivs an der Akademie der Künste in Berlin) und Simone Neteler (Lehrbeauftragte der Universität Hildesheim) begrüßen. Das Gespräch verlief unter dem Titel "Die Rolle des Archivs für Autorschaft und Autorentechnik". Moderiert wurde der Abend von Katrin Möller-Funck (Kempowski-Archiv-Rostock). Die Kempowski-Tage fanden am Wochenende von 26.04-28.04 zu Ehren des 90. Geburtstages des Schriftstellers statt.

In Anlehnung an eines der berühmtesten Zitate Kempowskis „Ich möchte Archiv werden“, eröffnete  Möller- Funck das Gespräch mit der Frage danach, was Erpenbeck und Sander für gewöhnlich archivieren. Erpenbeck offenbarte, das inoffizielle Archiv ihrer Familie bei sich zu Hause zu haben. Hinterlassenschaften der Familie, von Tagebüchern und Manuskripten bis zu einem Dokument ihrer Großmutter. Die hat alle Stationen auf ihrem Weg ins sowjetische Lager festgehalten. Als weiteres Beispiel brachte sie den Nachlass ihres Großvaters an. Er war der Redakteur der Zeitschrift „Das Wort“ in Moskau und führte einen regen Briefwechsel mit Bertolt Brecht, den Erpenbeck heute verwahrt Darüber hinaus archiviert Erpenbeck mithilfe von Tonbandaufnahmen auch selbst. Zu dem Zeitpunkt der Aufnahmen war ihr die Bedeutung vieler aufgezeichneter Gespräche noch nicht klar. Heute ist sie froh, sie nicht nur gemacht,, sondern auch digitalisiert und transkribiert zu haben. Ihr Archiv ist „ein Fass ohne Boden“ und Erpenbeck gab zu, dass all diese Schätze sehr ungeordnet vorliegen. Sie selbst ist  die einzige die  tatsächlich einen Überblick hat.
Sander hingegen beichtete, sich leicht von Dingen trennen zu können und gerne auszumisten. Sobald er an einem neuen Projekt arbeitet, taucht er ganz ein und braucht nichts anderes. Er sammelt Fotos für eine Fotowand, Musik, Bücher (auch aus Bibliotheken) und Gesprächspartner, die sein Projekt ausmachen. Nach Abschluss eines Projektes ist davon nicht mehr viel übrig. Auch Tagebuch führt er nicht, was, wie er scherzhaft sagte, ja eigentlich zur Berufsbeschreibung eines Schriftstellers gehöre
Möller-Funcks nächste Frage richtete sich an Neteler. Sie wollte wissen, wie die Struktur und Betreuung eines Archives aussieht. Neteler, die noch persönlich mit Kempowski an dessen Archiv arbeitete, sagte, dass das Kempowski Archiv nicht „nur“ ein Schriftsteller-Archiv sei. Seit 1980 werden Tagebücher, Briefe, Fotographien und ähnliches an das Archiv geschickt. Dieses sogenannte Fremdmaterial hat Kempowski sehr interessiert und fasziniert. 2005 ist das Archiv in die Akademie der Künste in Berlin eigezogen, da die schiere Menge der über 500 laufenden Metern an Dokumenten und über 100 000 Fotographien mehr Platz und eine professionelle Instandhaltung? benötigte. Marcel Lepper fügte an, dass das Kempowski Archiv sehr durchdacht sei, da es von Anfang an als Archiv geplant war. Trotz der wunderbaren Organisation der Materialien, gibt es noch ein Paar tückische Stellen, die Lepper am faszinierendsten findet. Die Materialien, von denen man nicht weiß, woher und von wem sie kommen und wie sie ins Archiv gelangt sind, sind nicht immer entwickelbar, aber da liegt, laut Lepper, der Spaß. Das Kempowski Archiv erzählt dank des Fremdmaterials die Kultur- und Alltagsgeschichte mehrerer Jahrzehnte nach.
Erpenbecks und Sanders unterschiedliche Form des Archivierens entfachte eine interessante Diskussion zum Thema Erinnerungen. Denn eigene Erinnerungen sind immer fehlerhaft und beschönigen das Geschehene meist, und auch Tagebucheinträge erzählen meist nicht die ganze Wahrheit. Erpenbeck sagte, dass sie, aus Angst etwas zu vergessen archiviert. Sander ist der Meinung, dass man bei fehlender Erinnerung, Recherche als Stütze benutzten kann. Neteler brachte an, dass Kempowski sich auf verschiedene Weisen erinnert hat. Er nahm Gespräche mit Familie und Freunden auf, und baute darauf seine Romane auf. Im Echolot sammelte er Erinnerungen von anderen Menschen aus dem 2. Weltkrieg. Er gab ihnen genug Raum, um Erinnerungen zu sammeln und zu verarbeiten. Das Archiv wird zu einem riesigen Erinnerungskosmos. Lepper meinte, dass dem Archivieren immer ein Bruch vorausgeht, ob biographisch, durch den Tod einer Person, oder historisch, durch z.B. den Zerfall eines Staates. Ein Archiv ist nicht stabil und kann auch etwas entzünden.
Auf dieses spannende Gespräch folgte eine Lesung aus Erpenbecks Essayband »Kein Roman. Texte 1992 bis 2018« und aus Sanders im August erscheinendem Roman »Alles richtig gemacht«. Beide Texte beschäftigen sich auf verschiedene Art und Weise mit Erinnerungen und dem Prozess des Erinnerns.

Natalie Dielmann (Praktikantin Literaturhaus Rostock)

27. April 2019 | 19:30 Rückblick Jenny Erpenbeck und Gregor Sander im Gespräch mit Marcel Lepper und Simone Neteler

Moderation: Katrin Möller-Funck[mehr]

Im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums in Rostock durften wir am 27.04 die Autor*innen Jenny Erpenbeck und Gregor Sander sowie Marcel Lepper (Leiter des Literaturarchivs an der Akademie der Künste in Berlin) und Simone Neteler (Lehrbeauftragte der Universität Hildesheim) begrüßen. Das Gespräch verlief unter dem Titel "Die Rolle des Archivs für Autorschaft und Autorentechnik". Moderiert wurde der Abend von Katrin Möller-Funck (Kempowski-Archiv-Rostock). Die Kempowski-Tage fanden am Wochenende von 26.04-28.04 zu Ehren des 90. Geburtstages des Schriftstellers statt.

In Anlehnung an eines der berühmtesten Zitate Kempowskis „Ich möchte Archiv werden“, eröffnete  Möller- Funck das Gespräch mit der Frage danach, was Erpenbeck und Sander für gewöhnlich archivieren. Erpenbeck offenbarte, das inoffizielle Archiv ihrer Familie bei sich zu Hause zu haben. Hinterlassenschaften der Familie, von Tagebüchern und Manuskripten bis zu einem Dokument ihrer Großmutter. Die hat alle Stationen auf ihrem Weg ins sowjetische Lager festgehalten. Als weiteres Beispiel brachte sie den Nachlass ihres Großvaters an. Er war der Redakteur der Zeitschrift „Das Wort“ in Moskau und führte einen regen Briefwechsel mit Bertolt Brecht, den Erpenbeck heute verwahrt Darüber hinaus archiviert Erpenbeck mithilfe von Tonbandaufnahmen auch selbst. Zu dem Zeitpunkt der Aufnahmen war ihr die Bedeutung vieler aufgezeichneter Gespräche noch nicht klar. Heute ist sie froh, sie nicht nur gemacht,, sondern auch digitalisiert und transkribiert zu haben. Ihr Archiv ist „ein Fass ohne Boden“ und Erpenbeck gab zu, dass all diese Schätze sehr ungeordnet vorliegen. Sie selbst ist  die einzige die  tatsächlich einen Überblick hat.
Sander hingegen beichtete, sich leicht von Dingen trennen zu können und gerne auszumisten. Sobald er an einem neuen Projekt arbeitet, taucht er ganz ein und braucht nichts anderes. Er sammelt Fotos für eine Fotowand, Musik, Bücher (auch aus Bibliotheken) und Gesprächspartner, die sein Projekt ausmachen. Nach Abschluss eines Projektes ist davon nicht mehr viel übrig. Auch Tagebuch führt er nicht, was, wie er scherzhaft sagte, ja eigentlich zur Berufsbeschreibung eines Schriftstellers gehöre
Möller-Funcks nächste Frage richtete sich an Neteler. Sie wollte wissen, wie die Struktur und Betreuung eines Archives aussieht. Neteler, die noch persönlich mit Kempowski an dessen Archiv arbeitete, sagte, dass das Kempowski Archiv nicht „nur“ ein Schriftsteller-Archiv sei. Seit 1980 werden Tagebücher, Briefe, Fotographien und ähnliches an das Archiv geschickt. Dieses sogenannte Fremdmaterial hat Kempowski sehr interessiert und fasziniert. 2005 ist das Archiv in die Akademie der Künste in Berlin eigezogen, da die schiere Menge der über 500 laufenden Metern an Dokumenten und über 100 000 Fotographien mehr Platz und eine professionelle Instandhaltung? benötigte. Marcel Lepper fügte an, dass das Kempowski Archiv sehr durchdacht sei, da es von Anfang an als Archiv geplant war. Trotz der wunderbaren Organisation der Materialien, gibt es noch ein Paar tückische Stellen, die Lepper am faszinierendsten findet. Die Materialien, von denen man nicht weiß, woher und von wem sie kommen und wie sie ins Archiv gelangt sind, sind nicht immer entwickelbar, aber da liegt, laut Lepper, der Spaß. Das Kempowski Archiv erzählt dank des Fremdmaterials die Kultur- und Alltagsgeschichte mehrerer Jahrzehnte nach.
Erpenbecks und Sanders unterschiedliche Form des Archivierens entfachte eine interessante Diskussion zum Thema Erinnerungen. Denn eigene Erinnerungen sind immer fehlerhaft und beschönigen das Geschehene meist, und auch Tagebucheinträge erzählen meist nicht die ganze Wahrheit. Erpenbeck sagte, dass sie, aus Angst etwas zu vergessen archiviert. Sander ist der Meinung, dass man bei fehlender Erinnerung, Recherche als Stütze benutzten kann. Neteler brachte an, dass Kempowski sich auf verschiedene Weisen erinnert hat. Er nahm Gespräche mit Familie und Freunden auf, und baute darauf seine Romane auf. Im Echolot sammelte er Erinnerungen von anderen Menschen aus dem 2. Weltkrieg. Er gab ihnen genug Raum, um Erinnerungen zu sammeln und zu verarbeiten. Das Archiv wird zu einem riesigen Erinnerungskosmos. Lepper meinte, dass dem Archivieren immer ein Bruch vorausgeht, ob biographisch, durch den Tod einer Person, oder historisch, durch z.B. den Zerfall eines Staates. Ein Archiv ist nicht stabil und kann auch etwas entzünden.
Auf dieses spannende Gespräch folgte eine Lesung aus Erpenbecks Essayband »Kein Roman. Texte 1992 bis 2018« und aus Sanders im August erscheinendem Roman »Alles richtig gemacht«. Beide Texte beschäftigen sich auf verschiedene Art und Weise mit Erinnerungen und dem Prozess des Erinnerns.

Wir bedanken uns bei allen Beteiligten für diesen tollen Abend.

 

Eine gemeinsame Veranstaltung im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums der Universität Rostock in Zusammenarbeit mit dem Kempowski Archiv Rostock. Ein bürgerliches Haus e.V.

Natalie Dielmann (Praktikantin im Literaturhaus Rostock)

27. April 2019 | 19:30 Jenny Erpenbeck und Gregor Sander im Gespräch mit Marcel Lepper und Simone Neteler

Öffentliche Abendveranstaltung innerhalb des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums | moderiert von Katrin Möller-Funck (Kempowski-Archiv-Rostock)[mehr]

Die Autor*innen Jenny Erpenbeck und Gregor Sander im Gespräch mit Marcel Lepper (Leiter des Literaturarchivs an der Akademie der Künste in Berlin) und Simone Neteler ( Lehrbeauftragte der Universität Hildesheim) unter dem Titel "Die Rolle des Archivs
für Autorschaft und Autorentechnik". Sie lesen und sprechen über Schriftstellerarchive und Arbeitstechniken und wie beides miteinander verknüpft ist. Die Autorin Jenny Erpenbeck zeigt in ihrem aktuellen Essayband »Kein Roman. Texte von 1992-2018.«, was ihr am Werk anderer Anregung ist, wo sie anknüpft, wozu sie sich bekennt. In diesem parallel zu den Romanen entstandenen essayistischen Werk reflektiert sie auch ihr eigenes Schreiben und Leben und gibt so Einblick in ihre Gedankenwelt und die Hintergründe ihres künstlerischen Schaffens. Jenny Erpenbeck wurde 1967 in Berlin (DDR) geboren. 1987 begann sie ein Studium für Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, bevor sie 1989 an die Berliner Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ wechselte, um dort Musiktheaterregie zu studieren. Dieses Studium schloss sie 1994 mit der Inszenierung von Bartóks Oper "Herzog Blaubarts Burg" in der Parochialkirche und im Tacheles Berlin ab. Ihr erstes Buch, eine Novelle mit dem Titel "Geschichte vom alten Kind", erschien im Jahr 1999 bei Eichborn Berlin. Seit 2014 ist Jenny Erpenbeck Mitglied der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung, seit 2015 auch der Akademie der Künste Berlin. Ihre Bücher sind in 20 Sprachen übersetzt. Gregor Sander wurde 1968 in Schwerin geboren und arbeitet als freier Autor in Berlin. Seinen ersten Roman mit dem Titel "Abwesend" veröffentlichte er im Jahr 2007 im Wallstein Verlag. Der Erzählband "Winterfisch" aus dem Jahre 2011 wurde mit dem Preis der LiteraTour Nord (2012) ausgezeichnet. 2014 erschien sein zweiter Roman mit dem Titel "Was gewesen wäre". Marcel Lepper wurde 1977 in Stuttgart geboren und ist der Leiter des Literaturarchivs an der Akademie der Künste in Berlin. Zudem ist er ein Außerplanmäßiger Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Stuttgart. Zu seinen Veröffentlichungen gehören u.a. "Philologie. Zur Einführung" (Junius, 2012) und "Handbuch Archiv", gemeinsam herausgegeben mit Ulrich Raulff (J.B. Metzle, 2016). Simone Neteler arbeitet als Lehrbeauftragte am Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft der Universität Hildesheim. Sie studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaften, Germanistik und Psychologie. Bis 2007 war sie eine enge Mitarbeiterin des Schriftstellers Walter Kempowski und ist Herausgeberin der Publikation "Echolot" (2014). Sie lebt als freie Autorin in Berlin. Ort: Aula der Universität Rostock, Universitätsplatz 1, 18055 Rostock
Eintritt frei

Eine gemeinsame Veranstaltung im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums der Universität Rostock in Zusammenarbeit mit dem Kempowski Archiv Rostock. Ein bürgerliches Haus e.V.

16. April 2019 | 20:00 Rückblick Antje Rávik Strubel »In den Wäldern des menschlichen Herzens«

Moderation: Claudia Kramatschek[mehr]

„Die Art und Weise, wie Antje Rávik Strubel über Literatur spricht, mit analytischer Intensität und von changierenden Blickpunkten aus, macht jede Veranstaltung mit ihr zu einem unwiederholbar eigenen Ereignis.“
So die Jurybegründung für den Preis der Literaturhäuser 2019. Am 16. April durften wir Antje Rávik Strubel in Rostock begrüßen, ihr erster Stopp auf einer Lesereise durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Gelesen wurde aus ihrem Episodenroman „In den Wäldern des menschlichen Herzens“.
Die Moderation übernahm an diesem Abend die Literaturkritikerin und Kulturjournalistin Claudia Kramatschek.
Kramatschek eröffnete den Abend mit einer Frage nach Strubels erstem Theaterstück, das zurzeit in Frankfurt aufgeführt wird. In Kooperation mit dem Frankfurter Schauspiel wird das Stück im Rahmen des Projektes „Stimmen einer Stadt“ inszeniert, ein lang gehegter Wunsch Strubels, der nun endlich in Erfüllung gegangen ist.
Neben dem Schreiben ihrer eigenen Romane, übersetzt Strubel auch aus dem Amerikanischen, vor allem die kalifornische Autorin Joan Didion. Strubel fasziniert die Präzision und Schärfe, die die Autorin auch in ihrem Schreiben sucht. Denn wenn Strubel schreibt, ist sie Antje Rávik Strubel, eine Person, die über den Menschen Antje Strubel hinausgeht. Eine Person im Schreibrausch, entrückt und  verändert.
Dennoch ist Strubel wenn sie schreibt kein komplett anderer Mensch    Themen, die sie persönlich beschäftigen, wie die ostdeutsche Perspektive, werden auch in ihren Romanen verarbeitet. Ein weiteres einschlägiges Thema in „In den Wäldern des menschlichen Herzens“ sind Grenzen   Grenzen des Körpers, des Begehrens, der Natürlichkeit. Strubel stellt die Frage, wo diese Grenzen sind und wie man sie überschreiten kann, ohne ins Groteske abzudriften. Die Grenzen des Natürlichen sollen verschwimmen und  - im besten Fall - das gesamte Konzept hinterfragt werden.
Während Strubel eine von den insgesamt dreizehn Episoden vorlas, hörte das Publikum gespannt zu. Durch ihr Erzählen und ihre beruhigende Stimme zog Strubel alle in ihren Bann.
In der gelesenen Passage sah man ganz klar die Auseinandersetzung mit Begehren, dem gewollten und ungewollten. Kramatschek fragte nach der Natürlichkeit des Begehrens. Strubel war  der Meinung, dass der deutsche Büchermarkt zurzeit viel zu „lahm“ und „schwerfällig“ sei. Es werden nur Geschichten von gescheitertem heterosexuellen Begehren erzählt. Strubel will dies überwinden. In „In den Wäldern des menschlichen Herzens“ wird das Verständnis von heteronormativer Liebe und dem binären Genderbegriff subvertiert und die Leser*innen zum Nachdenken angeregt. Strubel möchte das anarchistische Potential von Literatur ausnutzen und sich „austoben“.
Auch ihre zweite vorgetragene Passage griff die vorher angesprochenen Figuren und Themen wieder auf. Ein besonders interessanter Aspekt war hier das Licht. Nur mit Licht kann man sehen, doch auch hier subvertiert Strubel die Erwartungen. Sie ist der Meinung, dass man, wenn man etwas sieht, seine Wahrnehmung nur darauf begrenzt  und sich einschränkt. Im Zwielicht jedoch kommt die Wahrheit zum Vorschein.
Immer wieder versucht Strubel, den Status quo zu hinterfragen, denn die Wirklichkeit kann sich jederzeit verändern. Auch versucht sie, die gegenwärtig bestehende Sprache zu hinterfragen und anders zu benutzen. Besonders in ihrem gegenwärtigen Projekt „Weiter Schreiben“, in dem deutsche Schriftsteller*innen sich mit geflüchteten Schriftsteller*innen aus Syrien und Afghanistan über Sprache und das Schreiben austauschen, merkt Strubel, dass jedes Wort eine andere Bedeutung haben kann.
Zum Abschluss fragte Kramatschek nach kommenden Projekten.
Augenblicklich arbeitet Strubel an einem Roman, der sie seit 2012 beschäftigt. In ein bis zwei Jahren dürfen wir uns auf ein neues Meisterwerk von Antje Rávik Strubel freuen. Natalie Dielmann (Praktikantin im Literaturhaus Rostock)

16. April 2019 | 20:00 Antje Rávik Strubel »In den Wäldern des menschlichen Herzens«

Preis der Literaturhäuser 2019 | moderiert von Claudia Kramatschek[mehr]

Eine Reise in den Mittelpunkt des menschlichen Herzens. Leigh. René. Emily. Sara. Sie sind Liebende, Begehrende, sie sind unterwegs und begegnen einander in der kalifornischen Wüste, am Stechlin, in finnischen Wäldern und im Eiswind Manhattans. Renés Verlust der ersten Liebe und Emilys Verschwinden setzen einen Reigen an Beziehungen in Gang, in denen sich klassische Liebesvorstellungen auflösen. Sara. Ute. Katt. Gerade das Oszillieren zwischen Ländern und Geschlechtern entfacht eine Faszination, die sich in unvertrauter Sinnlichkeit und neuen Sexualitäten offenbart. Antje Rávik Strubel erzählt hellsichtig und leidenschaftlich von wilder Neugier, von Unruhe, Aufbruch und einem Begehren, wie man es in der deutschen Literatur lange nicht gelesen hat. Antje Rávik Strubel veröffentlichte die Romane ›Offene Blende‹ (2001), ›Unter Schnee‹ (2001), ›Fremd Gehen. Ein Nachtstück‹ (2002), ›Tupolew 134‹ (2004), ›Vom Dorf. Abenteuergeschichten zum Fest‹ (2007). Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, ihr Roman ›Kältere Schichten der Luft‹ (2007) war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und wurde mit dem Rheingau-Literatur-Preis sowie dem Hermann-Hesse-Preis ausgezeichnet, der Roman ›Sturz der Tage in die Nacht‹ (2011) stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. 2019 erhält sie den Preis der Literaturhäuser. In der Jurybegründung heißt es hierzu: "Die Art und Weise, wie Antje Rávik Strubel über Literatur spricht, mit analytischer Intensität und von changierenden Blickpunkten aus, macht jede Veranstaltung mit ihr zu einem unwiederholbar eigenen Ereignis. Auf uns, das Publikum, springen die Funken ihrer Gedankenwelt über, setzen sich fest und fort, ob sie nun über eigene Bücher spricht oder sich als Leserin oder als Übersetzerin (von Joan Didion, Favel Parrett, Lucia Berlin) in den Dienst anderer stellt.
Eine ganze Reihe eigenwilliger Roman- und Prosawerke, u.a. der Roman »Tupolew 134«, lagen bereits hinter ihr, als Antje Rávik Strubel mit »Kältere Schichten der Luft« den Grundstein für eine Roman-Trilogie legte, die mit »Sturz der Tage in die Nacht« fortgeführt und mit »In den Wäldern des menschlichen Herzens« vollendet wurde. Die drei Werke lösen Selbstentwürfe und Lebenslinien aus ihren festen Fügungen, zeichnen Realität jenseits von Gewissheit und offenbaren eine kühne Engführung von Natur und Körperlichkeit." Der mit 15.000 Euro dotierte Preis der Literaturhäuser wird mit Unterstützung des Kulturpartners ARTE seit 2002 jährlich an Autorinnen und Autoren vergeben, die mit ihrem Werk und dessen Präsentation ästhetische Maßstäbe setzen. Preisträger waren zuletzt Ulf Stolterfoht, Terézia Mora und Jaroslav Rudiš. Ort: Literaturhaus Rostock (im Peter-Weiss-Haus), Doberaner Straße 21, 18057 Rostock
Eintritt: 8,- €/erm. 6,- €
Vvk. in der anderen buchhandlung; im Pressenzentrum und unter diesem Link.